24
Feb
2018

299 792 458 m/s

Statt in den Apfel, biss ich in die Leberwurststulle. Meine Mittagspause verbrachte ich auf einer Bank am Spreeufer. Von den Dampfern, die den ganzen Tag flussauf und –abwärts fuhren, winkten mir freundliche Touristen zu. An machen Tagen fühlte ich mich von den Augen der Touristen belästigt und verkrümelte mich in den Park an der Paulstrasse. Ein Dampfer der Reederei Riedel hatte ein Wendemanöver eingeleitet und spuckte mir seine Abgase entgegen. Ich hustete und schmiss wütend meine Faust dem davonfahrenden Dampfer hinterher. Ich überlegte und seufzte, denn die Sehnsucht eine große Schriftstellerin zu werden, keimte erneut in mir auf. Mein Ausflug nach Österreich, der verzweifelte Beginn eines Physikstudiums, meine Tätigkeit als Pförtnerin und meine Beschäftigung im Berliner Reinigungsbetrieb, zeugten nicht gerade von der Verlässlichkeit und Kontinuität, die Leser bei einer Autorin wünschten. Ich erinnerte mich an die Worte meiner Mutter: "Deine Tochter zeigt einfach zuviel Mut zur Oberflächlichkeit", worauf mein Vater sagte: "Lass sie doch." Ich habe nie gewusst, was er für mich in diesem Augenblick empfand. Gleichgültigkeit oder Verständnis? Wer etwas wissen will, muss fragen, dachte ich. Aber noch hatte ich Zeit.
Die Geräusche einer Fahrradklingel störten meine Überlegungen. Ein Fahrradfahrer umkreiste die Bank. Er hatte den Kragen von seinem Mantel nach oben geschlagen und seine Mütze tief ins Gesicht gezogen. Er blieb vor mir stehen und sagte „Worauf wartest du?“ „Muss man immer auf etwas warten?“, sagte ich. Die vorbeifahrende S-Bahn verschluckte seine Sätze. Ich sah wie sich seine Lippen bewegten und die Ohrenklappen seiner Trappermütze wackelten. Wie bei einem Dackel, dachte ich. Erneut benutzte er die Klingel seines Fahrrads, drehte zwei drei Runden um die Bank, bremste und fragte „Kann ich dich irgendwo hinfahren?“ Ich überlegte kurz und sagte „Ja, warum eigentlich nicht. Cafe Buchwald und zwar in Lichtgeschwindigkeit, wenn du das schaffst.“ Ich schwang mich auf die Stange seines alten Fahrrads und er trat in die Pedalen.
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